Zebi-Magazin Zebi 2023

Von der Schlaflosigkeit zur Selbststärke

Stress in der Ausbildung ist nicht ungewöhnlich. Wir haben darüber mit der Psychologin Patricia Bachmann gesprochen und erfahren, wie professionelle Hilfe wirkt. Die fiktive Geschichte von Nina zeigt, dass man damit nicht nur akute Krisen bewältigt, sondern resilienter für das ganze Leben wird.

Text: Daniela Barmettler / Bild: Christoph Arnet
Erschienen im Zebi Magazin 2023, 4.11.2023

* Die Geschichte von Nina basiert auf einem frei erfundenen, aber realistischen Fallbeispiel der Fachstelle Psychologische Beratung des BIZ Luzern.



Nina* schaut auf die Uhr. Es ist 23.41 Uhr und sie kann nicht einschlafen. Das geht seit Wochen so. Immer wieder muss sie an ihre Arbeit denken. Sie absolviert das erste Lehrjahr im Verkauf und im Lehrbetrieb war heute viel los. Deshalb erhielt sie von ihrer Berufsbildnerin diverse Aufträge gleichzeitig. Sie solle die Lieferungen auspacken, gelegentlich die E-Mails prüfen und die Regale neben dem Eingang kontrollieren und auffüllen.

Nina widmete sich diesen Aufgaben und bedient dazwischen wartende Kundinnen und Kunden. In all dem Trubel hat sie vergessen, um welche Regale sie sich kümmern müsste, und fragte nach. «Nina, du musst dich besser konzentrieren. Wenn viele Leute im Geschäft sind, kann ich dir die Dinge nicht mehrmals erklären», antwortete die Berufsbildnerin, die sonst hilfsbereit und geduldig ist.

 

Hilfe holen als wichtigster Schritt

Nina wälzt sich im Bett. Sie hat in letzter Zeit oft Aufträge durcheinander gebracht oder vergessen. Sie versucht sich mit Musik abzulenken, um endlich einzuschlafen.

Als Nina erwacht, brummt ihr Kopf. Als sie sich auf den Weg zur Arbeit macht, kommen Übelkeit und Bauchschmerzen dazu. Schon wieder. Bereits seit Wochen zeigen sich diese Symptome. Kaum ist sie im Lehrbetrieb angekommen, steigt der innere Druck und sie versucht, alle Anweisungen genaustens durchzugehen, um keine Fehler zu machen. Das Atmen fällt ihr schwer, ihr wird schwindlig.


«Die Jugendlichen sind heute reflektiert und berichten offen über Gedanken und Gefühle. Es hat definitiv eine Enttabuisierung stattgefunden.»

Patricia Bachmann



Nach einem anstrengenden Tag beginnt am Abend erneut das quälende Gedankenkarussell. Sie nimmt ihr Smartphone zur Hand und googelt: Stress in der Lehre.

Schnell wird sie auf die Fachstelle Psychologische Beratung in Luzern aufmerksam und ihr wird klar, dass sie Hilfe braucht. Einige Tage später meldet sie sich über das Online-Formular bei der Fachstelle und bekommt einen Termin.

 

Stress als Überbegriff

Diese fiktive Geschichte schildert Patricia Bachmann, Fachstelle Psychologische Beratung Berufsbildung und Gymnasien des Beratungs- und Informationszentrums BIZ, und sagt: «Dieser Fall kommt häufig vor. Die Jugendlichen kommen zu uns und sagen, dass sie gestresst sind.»

Stress stehe dabei für sehr vieles: Prüfungen, Streit mit den Eltern oder körperliche Symptome. «Unsere Aufgabe ist es, herauszufinden, was dem Stress zugrunde liegt. Oft sind es Selbstzweifel, Ängste oder ein ungünstiger Umgang mit Kritik», erklärt die Expertin.

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Patricia Bachmann ist Leiterin der Fachstelle Psychologische Beratung Berufsbildung und Gymnasien des Beratungs- und Informationszentrums BIZ in Luzern

Suche nach der Ursache

Ninas erster Termin steht an, bei dem die 16-Jährige in einem ausführlichen Gespräch ihre derzeitige berufliche und private Situation beschreibt. Gemeinsam mit der Psychologin sucht sie nach Auslösern für die Stressreaktionen.

Nina spricht über die Einschlafschwierigkeiten, die Übelkeit und Bauchschmerzen, und dass manchmal das Verständnis von Familie und Freunden fehlt. Sie berichtet auch von ihrer Angst vor Kritik und davon, dass sie sich im Betrieb überfordert fühlt. Sie befürchtet, den falschen Beruf gewählt zu haben.

Kampagnen helfen

«Die Jugendlichen sind heute sehr reflektiert und berichten offen über Gedanken und Gefühle. Es hat definitiv eine Enttabuisierung stattgefunden und den Jugendlichen fällt es leichter, sich Hilfe zu holen», stellt Patricia Bachmann fest. Dies führt sie unter anderem darauf zurück, dass viele Sensibilisierungskampagnen durchgeführt sowie sogenannte Helppoints an den Berufsschulen eingerichtet wurden.

 

Verständnis schaffen

Im Gespräch wird Nina bewusst, dass sie aus einem leistungsorientierten Elternhaus mit hohen Erwartungen stammt. Über Gefühle wird selten gesprochen, «man reisst sich zusammen». Auch lernt sie, welche Auswirkungen Stress auf ihren Körper haben und warum sie Kopf- oder Bauchschmerzen bekommt.

Dazu Patricia Bachmann: «Es ist wichtig, dass Jugendliche verstehen, wie Sorgen und Gedanken mit körperlichen Symptomen zusammenhängen.»


«Dank einer Beratung können Jugendliche nicht nur akute Situationen meistern, sondern lernen, ihre Selbstwirksamkeit zu stärken.»

Patricia Bachmann



An Zielen arbeiten

In den folgenden Gesprächen definiert Nina zusammen mit der Psychologin klare Ziele: Sie will im Lehrbetrieb bleiben, denn der Beruf gefällt ihr, und sie will lernen, besser mit Kritik umzugehen.

Die Psychologin bietet Nina an, sie zu einem Gespräch mit der Berufsbildnerin zu begleiten, um diese über die aktuelle Situation zu informieren. Nina nimmt das Angebot gerne an. Der Austausch hilft dem gegenseitigen Verständnis und stärkt die Beziehung zwischen der Berufsbildnerin und Nina.

 

Sich selbst besser beobachten

In den folgenden Sitzungen lernt Nina Bewältigungsstrategien kennen: Achtsamkeits- und Entspannungsübungen, Pausen einlegen, gesunden Schlaf fördern, richtig atmen sowie positive Erlebnisse im Fokus behalten. Sie führt ein Tagebuch, in dem sie stressige Situationen, die Auslöser und die angewandten Bewältigungsstrategien dokumentiert.


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Tagebuch als Selbstreflexion

«Wenn man sich beobachtet, erfährt man, worauf der gefühlte Stress zurückzuführen ist. Manchmal ist es nicht eine Situation an sich, sondern wie man sie interpretiert», sagt Patricia Bachmann.

Tagebuch zu schreiben helfe nicht nur zur Selbstreflexion, sondern auch, um Emotionen und ihren Kontext besser zu verstehen, was wiederum die persönliche Entwicklung unterstützt.

«Jugendliche in der Pubertät sind durch Veränderungen im Gehirn und im Hormonsystem verletzlich. Es ist zentral, dass wir sie während dieser Zeit aufmerksam und wertschätzend begleiten, Stabilität anbieten und in einem guten Austausch bleiben. Sie müssen lernen, mit der heutigen Reizüberflutung umzugehen und sich Freiräume zu schaffen», erklärt die Expertin.

Für das Leben gestärkt

Nach einigen Wochen kommt der Zeitpunkt für den Beratungsabschluss. Nina fühlt sich inzwischen weniger gestresst, kann sich gut beobachten und wenn nötig die richtigen Techniken wirksam anwenden.

Insgesamt fühlt sie sich durch die psychologische Beratung gestärkt und gewinnt an Zuversicht. Die Ausbildung macht ihr wieder Freude und sie kann sich bei der Arbeit besser konzentrieren und ihre Freizeit wieder geniessen.

«Dank einer Beratung können Jugendliche nicht nur akute Situationen meistern, sondern lernen, ihre Selbstwirksamkeit zu stärken. Sie erfahren, dass sie ihre Einstellungen anpassen und Situationen beeinflussen können. Das stärkt für das weitere Leben.» So wie im Fall von Nina.


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